
E N T S C H L I E S S U N G S A N T R A G
der Abgeordneten Petra Vorderwinkler, Genossinnen und Genossen
betreffend
"Chancenindex: Für die Bundesregierung gilt bei den Kindern immer nur 'Hauptsache es kostet nichts'"
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert umgehend das Pilotprojekt 100 Schulen zu einem echten Chancenindex zu erweitern. Das bedeutet, dass in Zukunft die gesamte Schulfinanzierung auf Basis von sozioökonomischen Faktoren und Bedürfnissen der Schulen und nicht nur bloß an Hand der Zahl der SchülerInnen erfolgt. Dies löst einen Mehrbedarf von 5.000 LehrerInnen aus. Ein besonderer Fokus muss dabei auf den Volksschulen liegen. Der Bundesminister für Finanzen wird aufgefordert für eine budgetäre Bedeckung des Mehrbedarfes im Rahmen des BFG 2022 sowie BFRG 2022 bis 2025 zusorgen. “
Warum?
Auch die aktuelle Nachhilfebefragung der Arbeiterkammer im Jahr 2021 hat erneut gezeigt: viele Familien sind gezwungen mittels privat finanzierter und organisierter Nachhilfe ihre Kinder lerntechnisch zu unterstützen, weil unser Schulsystem nicht so aufgestellt ist, dass jede Schülerin und jeden Schüler ausreichend unterstützt werden kann. Das ist ein mittlerweile seit vielen Jahren stark ansteigender Trend, der durch die Corona-Krise noch zusätzlich verschärft wurde. Für die Studie wurden von 4. bis 17. Mai über 1.035 Eltern von rund 1.700 Schulkindern befragt. Der Anteil von SchülerInnen mit Nachhilfe stieg gegenüber dem Vorjahr von 29 Prozent auf 37 Prozent. Denn die langen Monate des Distance-Learningshaben den Lerndruck in den Familien massiv erhöht. Nur mit Hilfe von privater Nachhilfe konnten in vielen Fällen der Lernstoff im Distance-Learning bewältigt und Kinder von möglichen Lernrückständen geschützt werden. Das Zurückgreifen auf private Nachhilfe belastet in Folge natürlich auch die Geldbörsen der Familien stark. Im Schnitt gaben jene Eltern, die bezahlte Nachhilfe in Anspruch nahmen, dafür 360 Euro aus. Die Kosten steigen dabei mit dem Alter der Schüler. In der Volksschule waren es im Schnitt 270 Euro, in der AHS-Oberstufe 620 Euro. Insgesamt wurden für 367.000 Kinder damit 62 Mio. Euro ausgegeben.
Die Zahlen verdeutlichen nicht nur, dass Schule längst nicht mehr gratis ist, sondern auch, wie stark der Lernerfolg von den Einkommensverhältnissen der Eltern abhängig ist. Denn nicht alle Eltern können sich eine bezahlte Nachhilfe für ihre Kinder leisten. Auch das hat die Corona-Pandemie noch zusätzlich verstärkt. Denn stark gestiegen ist auch der Anteil jener Eltern, deren Kinder keine Nachhilfe bekommen, die aber gerne eine solche gehabt hätten - etwa weil sie sich keine leisten oder eine solche nicht organisieren konnten. Lagen diese Wert in den vergangenen Jahren jeweils unter zehn Prozent, waren es heuer 27 Prozent. Die Corona-Krise und Schul-Lockdowns haben damit unmissverständlich gezeigt: unser Schulsystem unterstützt die Kinder, die bildungsnahe Eltern mit genügend zeitlichen und finanziellen Ressourcen, alle anderen Kinder haben Pech gehabt.
Das Dilemma spitzt sich durch die Schulfinanzierung zu. Denn die Finanzierung einzelner Schulstandorte hat sich bislang im Wesentlichen an der Anzahl der Schülerinnen und Schüler orientiert. Das sagt jedoch wenig über die tatsächlichen Bedürfnisse und den sich daraus ergebenden Bedarf aus. Schulen mit größeren Herausforderungen bräuchten längst mehr Mittel und Personal, werden von der Bundesregierung mit dem Problem weitgehend alleine gelassen. Dabei wäre Bildungsminister Faßmann seit Jahren gefordert ein Finanzierungsmodell umzusetzen, das dem Rechnung trägt. Eine gesetzliche Grundlage wurde hierfür noch unter der ehemaligen Bildungministerin Sonja Hammerschmid im Jahr 2017 geschaffen, was seither fehlt ist eine Verordnung zur konkreten Ausgestaltung. Entsprechende Modelle – etwa der sogenannten „Chancenindex“, der durch die Arbeiterkammer ausgearbeitet wurde - liegen hierfür ebenfalls seit Jahren vor. Dieser sieht vor, dass die Finanzierung von Schulen beziehungsweise bestimmter Aufgaben an Schulen anhand von Faktoren wie Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern beziehungsweise Migrationshintergrund und andere Erst- oder Umgangssprache als Deutsch erfolgt. Bei einer Bildungsfinanzierung nach Chancenindex bekommen Schulen also umso mehr Mittel, je mehr SchülerInnen sie haben, denen die Eltern selbst nicht beim Lernen helfen können. Diese Schulen sind übrigens von den Folgen der Coronakrisebesonders hart betroffen. Insgesamt errechnet sich durch die Einführung des Chancenindex ein Mehrbedarf von rund 5.000 LehrerInnen.
Obwohl also längst bekannt ist, was zu tun wäre, setzt die türkis-grüne Bundesregierung allerdings lediglich auf Alibi-Projekte, die zwar nett klingen, in der Praxis aber viel zu kurz greifen. Im heurigen Schuljahr startet das Pilotprojekt 100 Schulen – 1.000 Chancen, das zum Ziel hat Schulen mit besonderen Herausforderungen besonders zu unterstützen. Das deckt allerdings nur einen geringen Anteil der Schulstandorte ab, die eigentlich Hilfe und mehr Unterstützung bräuchten. Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz, rechnete vor, dass bei hundert teilnehmenden Schulen nur jede elfte Pflichtschule mit großen Herausforderungen berücksichtigt wird. Die Arbeiterkammer kritisiert neben der mangelnden Treffsicherheit des Regierungsprojektes, dass die lange Projektphase von 2-3 Jahren zur Datensammlung angesichts der Dringlichkeit der großen Herausforderungen an vielen Schulen ein viel zu langer Zeitraum ist. Vielmehr hätte man mit Blick auf internationale „Good Practice“ Beispielen sofort großflächig starten können. Mit lediglich 15 Mio. Euro ist das Projekt budgetär ohnehin viel zu gering bemessen. Wie in so vielen anderen Bereichen – etwa den Kampf gegen die Infektionslage und Corona-Schutzkonzepten – gilt für die Bundesregierung bei der Wirtschaft zwar „koste es, was es wolle“, just bei unseren Kindern heißt es scheinbar aber dann „Hauptsache es kostet nichts“.
Nach eineinhalb Jahren Pandemie hat sich so deutlich gezeigt wie noch nie: zurück zum alten Schulsystem und so zu tun, als wäre nichts gewesen, wäre für die Kinder fatal. Genau das passiert aktuell allerdings. Von der Bundesregierung gibt es bis heute keine visionären Ideen, wie das Bildungssystem nachhaltig umgebaut werden soll.
Ziel muss eine Schule sein, in die ein Kind ohne Schultasche reinspazieren kann und ohne Hausübung wieder herauskommt, weil die gesamte Bildung Sache der Schule und nicht der Möglichkeiten und Zeit der Eltern ist.
Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten diesen Entschließungsantrag.